Der folgende Artikel ist auf Bitte der Zeitschrift ANTROPOZÓFIA der Anthroposophischen Gesellschaft in Ungarn entstanden. Er wird in Übersetzung in der Oster-Ausgabe Mitte März 2013 erscheinen.
“... Anthroposophie gefällt mir ganz gut, aber von
der Dreigliederung will ich nichts wissen ...”
der Dreigliederung will ich nichts wissen ...”
1. Im Folgenden sei der Versuch gemacht, einige Gesichtspunkte zusammenzutragen, die den Begriff der Politik in ein solches Licht rücken, dass – aus anthroposophischer Perspektive – eine Orientierung gewonnen werden kann für ein wesensgemäßes politisches Handeln in den Herausforderungen im Zeitgeschehen. Denn ein solches Handeln aus Ideen und Impulsen, die in der Geisteswissenschaft wurzeln, ist nötig, sollen die Wege zur Gesundung der sozialen Verhältnisse in der Welt gefunden werden. Diese Wege aktiv zu betreten und initiativ zu gestalten bezeichnet das eigentliche Lebensfeld des Politischen. – Doch ist das im Selbstverständnis der anthroposophischen Bewegung noch keineswegs stark genug verankert.
Das ungeklärte Verhältnis zu diesem “sonderbaren Gebilde”, wie Rudolf Steiner die “Politik”einmal nannte, als er darauf hinwies, wie auch gerade in diesen Zweig des Lebens dasjenige eingeführt werden müsse, “was aus der Geisteswissenschaft folgt” [1], kann als einer der Hauptgründe dafür erkannt werden, dass der Impuls der Dreigliederung des sozialen Organismus im Ganzen der anthroposophischen Bewegung oder gar in der anthroposophischen Gesellschaft noch immer ein kümmerliches Dasein fristet. Die Begriffe der Dreigliederung werden wohl hie und da z.B. für die Gestaltungsfragen auf dem Felde des unternehmerischen Handelns herangezogen, aber im Sinne einer politisch zu erringenden gesellschaftlichen Gesamtalternative [2] blieb die Dreigliederungsidee ein Stiefkind.
2. Stellt man also vor diesem Hintergrund die Frage nach “Anthroposophie und Politik”, betritt man ein Gebiet, das im Schicksal der anthroposophischen Gesellschaft ungeklärt, ja in einer gewissen Weise “tragisch” ist.
Dazu sei auf einen Zusammenhang geblickt, der oft ins Feld geführt wird, wenn innerhalb der anthroposophischen Gesellschaft ihre Mitglieder mit politischen Projekten “konfrontiert” werden (es mag dies weniger geworden sein, aber aufs Ganze gesehen ist diese Tendenz immer noch da). Es wird dann oft darauf hingewiesen, was im § 4 der bei der Weihnachtstagung 1923/24 beschlossenen Statuten steht: “Die Anthroposophische Gesellschaft [...] lehnt jedes sektiererische Bestreben ab. Die Politik betrachtet sie nicht als in ihren Aufgaben liegend.”
Und gerade mit diesem Punkt ist eine merkwürdige Begebenheit verbunden, die – wie es scheint – bis heute im Gesellschafts-Karma wirksam ist. Aus diesem Grund will ich sie hier anführen:
Als dieser Punkt 4 bei der Gründungsversammlung, zu der die Mitglieder an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen in der Schreinerei am Goetheanumhügel zusammengekommen waren, verlesen wurde, um danach, wie bei den vorhergehenden Sitzungen auch, diskutiert zu werden, da meldete sich gleich zu Beginn Harry Collison, ein führendes Mitglied aus Großbritannien zu Wort:
“Als einem sehr alten Mitglied verzeihen Sie mir ein paar Worte zu diesen Statuten. Wir sind jetzt erst bei Punkt 4. Ich glaube, es kann nicht unsere Absicht sein, die Statuten auszubessern. Herr Dr. Steiner hat sich so viel Mühe gegeben dabei, und sie sind wirklich ganz umfassend. Es scheint mir, die Debatte über die einzelnen Punkte sollte nur den Zweck haben, etwaige Fragen zu stellen über die Bedeutung und Tragweite dieser Punkte.” [3]
Es folgt lang anhaltendes Beifallklatschen, wie in der Mitschrift zu lesen ist. Trotz mehrmaligem Nachfragen Rudolf Steiners kommt jetzt keine Frage, keine Wortmeldung mehr von den Anwesenden; zu diesem Punkt nicht und auch nicht zu den nächsten. Rudolf Steiner selbst hat dieses Schweigen mit Collisons Intervention in Verbindung gebracht: “Mr. Collisons Worte scheinen eine merkwürdig dämpfende Wirkung auszuüben! [...] Mr. Collison ist wirklich ein Magier!” [4]
Es wäre dies, dass die von Collison sicher nicht gewollte “dämpfende Wirkung” gerade bei dem Begriff der Politik ins Spiel kam, nicht besonders hervorzuheben, wenn man sagen könnte, dass aus den Reihen der anthroposophischen Gesellschaft in all den Jahren eine Vielzahl an politischen Projekten ins Leben getreten wäre. Dem ist aber nicht so! Und so kann dieses Vorkommnis bei der Weihnachtstagung schon nachdenklich stimmen.
3. Was nun aber mit dem Begriff der Politik in diesem Kontext der Statuten gemeint war, dazu kann man eine Orientierung gewinnen durch das, was Rudolf Steiner gleich im Eröffnungsvortrag der Weihnachtstagung mitteilte:
“‘Die Gesellschaft lehnt jedes sektiererische Bestreben ab. Die Politik betrachtet sie nicht als in ihren Aufgaben liegend.’ Diesen Satz brauchen wir, weil zahlreiche Mißverständnisse aus allerdings nicht klarem Verhalten vieler unserer Mitglieder während der Dreigliederungszeit entstanden sind. Anthroposophie ist vielfach zu dem Ansehen gekommen, als ob sie sich in die politischen Angelegenheiten der Welt hineinmischen wollte – was sie nie getan hat, nie tun kann – dadurch, daß die Dreigliederungssache von unseren Freunden vielfach an die politischen Parteien herangebracht worden ist, was von vornherein ein Fehler bei diesen Freunden war.” [5]
Hört man genau auf den Wortlaut dieser Zeilen, dann ist klar, wovon gesprochen ist: Von der Parteipolitik! Sie kann nicht als in den Aufgaben der Anthroposophischen Gesellschaft liegend betrachtet werden. Diese Unterscheidung kann uns darauf aufmerksam machen, dass dieses Gebiet, das uns hier beschäftigt zwei Gesichter hat und diese Doppelgesichtigkeit [6] wird auch in den Aussagen Rudolf Steiners deutlich. In der dritten Seminarbesprechung des nationalökonomischen Kurses etwa charakterisiert Steiner den Politikbegriff, indem er den oft zitierten Satz des preußischen Generals und Militärtheoretikers Carl von Clausewitz (1780-1831), vom “Krieg als Fortsetzung der Politik nur mit anderen Mitteln”, umkehrt:
"Man kann [...] nicht sagen, der Krieg sei die Fortsetzung der Politik nur mit anderen Mitteln, aber die Politik ist der ins Geistige übertragene moderne Krieg. Denn dieser Krieg beruht darauf, daß man den Gegner täuscht, daß man irgendwelche Situationen herbeiführt, die ihn täuschen. Jede Umgehung im Kriege, alles Mögliche, was nicht direkte offene Angriffe sind, beruhen auf einer Täuschung des Gegners. [...] Das ist übertragen aufs Geistige, die Politik.”
Und Rudolf Steiner fährt fort:
“Wenn man von der Politik redet, so möchte man sagen: Es müßte danach gestrebt werden, daß die Politik in allem überwunden wird, selbst in der Politik. Wir haben nämlich im Grunde genommen erst dann eine wirkliche Politik, wenn sich alles das, was auf politischem Felde spielt, in rechtlichen Formen [sich] abspielt. Dann haben wir aber eben den Rechtsstaat." [Hervorhebung GS] [7]
4. Der allseits bekannten Politik, mit der man nichts zu tun haben will, fügt Rudolf Steiner die Perspektive einer “wirklichen Politik” hinzu. Man darf nicht stehen bleiben bei dem, was in der Politik in der beschriebenen Weise waltet, sondern muss den Begriff in Bewegung bringen:
"Man muß bewegliche Begriffe haben. Das wollen die Leute heute nicht; sie wollen eingeschachtelte Begriffe haben. Sie wollen überhaupt nicht hinausdenken in die Wirklichkeit. Solche Dinge könnten sonst nicht entstehen, daß zum Beispiel die Leute sagen: Anthroposophie gefällt mir ganz gut, aber von der Dreigliederung will ich nichts wissen. – Wer so spricht, gleicht ungefähr demjenigen, der sagt: ja, für das Geistige interessiere ich mich, aber dieses Geistige darf nicht in das Politische übergreifen; dieses Geistige muß unabhängig sein von dem Politischen.”[8]
Es liegt hier bei jenen, die so denken und empfinden eine “Schläfrigkeit” vor, wie Rudolf Steiner sagt:
“Diese schläfrigen Seelen – oh, man möchte sie so gerne aufwecken! –, sie fühlen sich so ungeheuer wohl, wenn sie innerlich Mystiker sind, wenn sie die ganze Welt erfassen innerlich, wenn sie den Gott in ihrer eigenen Seele entdecken und dadurch so vollkommene Menschen werden! Aber diese Innerlichkeit hat nur einen Wert, wenn sie heraustritt ins Leben. Ich möchte wissen, ob sie einen Wert hat, wenn jetzt, in der Zeit, wo alles drängt, wo die Welt in Flammen steht, der Mensch nicht den Weg findet, mitzusprechen in den öffentlichen Angelegenheiten. Das ist ein schönes Interesse für Anthroposophie, das sich nur für Anthroposophie interessieren will und nicht einmal die Möglichkeit findet, mitzureden bei dem, wozu Anthroposophie anregen will. [...] Deshalb ist das, was bei den Leuten zu finden ist, die sich nur in ihrer Art für Anthroposophie interessieren wollen, anthroposophisches Geschwätz. Die Wirklichkeit der Anthroposophie ist aber dasjenige, was in das Leben übergeht." [Hervorhebungen GS] [9]
5. Damit ist der Begriff der “wirklichen Politik” charakterisiert. Vieles könnte hierzu gesagt werden, was aus der über 40-jährigen Arbeit im Internationalen Kulturzentrum Achberg dazu aus der Dreigliederung – bezogen auf die Perspektive einer gesellschaftlichen Gesamtalternative (s. Fußnote 2) – impulsiert worden ist. Die hier angesprochene Wirkensstätte für einen “Dritten Weg” bildet innerhalb der anthroposophischen Bewegung insofern eine Ausnahme zu der oben charakterisierten stiefkindlichen Behandlung des Politischen. [10]
Was hierbei nicht ungenannt bleiben kann, ist die Idee der “dreistufigen Volksgesetzgebung”, einem direkt-demokratischen Prozess, der den Parlamentarismus wesensgemäß ergänzen soll, damit die Demokratie – das “Mitsprechen in den öffentlichen Angelegenheiten” (s.o.) – überhaupt heilsam im sozialen Organismus wirksam werden kann. Seit nunmehr 30 Jahren ist dies ein Arbeitsfeld für politische Projekte in verschiedenen Ländern. [11] Dieser Kampf um die Erlangung wahrer Volkssouveränität ist noch nicht an seinem Ziel angekommen und was auf dem Feld der Demokratie historisch schon erreicht werden konnte, droht wieder verloren zu gehen.
Wir kommen jetzt in die Jahre hinein, wo die “Dreigliederungszeit” (1917/19 - 1922) hundert Jahre zurückliegt. Damit sind Gesetzmäßigkeiten in der “Zeit als Realität”[12] verbunden, die wir nicht ignorieren dürfen. Ebenfalls hundert Jahre zurück liegt der erste Weltkrieg, auch diese Realität wirkt “in verwandelter Gestalt” [13] hinein in die gegenwärtigen Herausforderungen – auch jetzt ringen die Völker, die Rechtsgemeinschaften Europas um ihr Verhältnis zueinander in einer gemeinsamen Union. Die mannigfaltigen Krisen, die damit verbunden sind und die Notwendigkeit auf sie reagieren zu müssen, sind starke Kräfte, die die Gefahr mit sich bringen, dass das “andere Gesicht“ von Politik immer stärker und stärker zum Zuge kommt, jenes Gesicht, wo die Politik die Fortsetzung des Krieges ist (s.o.), wo Gruppeninteressen gegeneinander kämpfen, obwohl es ja das Ziel sein muss, dass immer mehr die Menschheitsinteressen sich durchsetzen. Es droht die Volkssouveränität verloren zu gehen, noch bevor sie überhaupt vollständig errungen ist; errungen und auch weiter ausdifferenziert. Denn die Souveränität muss im gegliederten sozialen Organismus ebenfalls eine gegliederte sein. In den verschiedenen Systemen – dem Wirtschaftsleben, dem Geistesleben, dem Rechtsleben, sowie in den monetären und medialen Prozessen – muss jeweils unterschiedlich “mitgesprochen” werden können, sonst droht die “wirkliche Politik”, als das Aufgabenfeld einer emanzipierten Menschheit, die ihre gesellschaftlichen Verhältnisse selbst gestaltet, gänzlich verloren zu gehen:
“Die Menschheit wird nicht weiter mitreden können, ohne daß sie ihren sozialen Organismus im Sinne der Dreigliederung: des Sozialismus für das Wirtschaftsleben, der Demokratie für das Rechts- oder Staatsleben, der Freiheit oder des Individualismus für das Geistesleben einrichtet. Das wird angesehen werden müssen als das einzige Heil, als die wirkliche Rettung der Menschheit." [14]
Darum geht es jetzt im Ringen Europas um eine neue Form seines Gemeinwesens. Das werden die brennenden Fragen der nächsten Jahre sein. – Ein Jahrhundert nachdem die Dreigliederung des sozialen Organismus von Rudolf Steiner entdeckt worden ist und ein erstes politisches Projekt damit verbunden wurde. [15]
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[1] Rudolf Steiner am 6. Oktober 1918, GA 184, S. 255f – Das Zitat im Kontext: "Diese Dinge [die aus der Geisteswissenschaft folgen] gründlich zu verstehen, gründlich in seine Erkenntnisgesinnung aufzunehmen, das gehört zu den Anforderungen des Menschenlebens in der Zukunft, insbesondere zu den Anforderungen, die von den Zeitgeistern selber an diejenigen gestellt werden, die Erkenntnis für die Zukunft suchen wollen, die auf irgendeinem Gebiete Willen entfalten wollen. Insbesondere müßten ergriffen werden die geistigen Kulturzweige, Theologie, Medizin, Jurisprudenz, Philosophie, Naturwissenschaft, Technik selbst und soziales Leben und sogar Politik; Politik, ja, ja, wahrhaftig, auch dieses sonderbare Gebilde! In all das müßte eingeführt werden von denjenigen, welche die Zeit verstehen, das, was aus der Geisteswissenschaft folgt."
[2] Diese Perspektive einer “Gesamtalternative” stellte sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (1945 - 1989) als die eines “Dritten Weges”, wie sie 1956 in Ungarn und vor allem 1968 im Prager Frühling aus den geschichtswirksamen Kräften ans Licht drängte. In der Arbeit des Internationalen Kulturzentrums Achberg, deren Mitarbeiter der Verfasser ist, wurde diese historische Konstellation mit dem Impuls der Dreigliederung verbunden, der Freiheit, Demokratie und Sozialismus als “historische Forderungen” begreift, die nur “im richtigen Sinne verstanden werden müssen” (s. Rudolf Steiner am 9. August 1919, GA 296, S. 16).
Nachdem nun nach 1989 der geopolitische Ost-West-Gegensatz weggefallen war, trat zunächst der Kapitalismus seinen “Siegeszug” an. Doch spätestens nach der Wirtschaftskrise von 2008 wird nun von daher der Ruf nach einer “Systemwende” laut. Auch jetzt bedarf es der Impulse einer anthroposophischen Sozialwissenschaft und entsprechender Projekte dazu.
Zu diesen Fragen gibt es zwar einzelne Berührungspunkte von Initiativen aus der anthroposophischen Bewegung mit Aktivitäten der Zivilgesellschaft. Doch ist diese Kraft insgesamt noch zu schwach, als dass hier eine wirksame Bewegung erkennbar wäre, die etwas Heilsames ins Spiel bringen könnte, z.B. dort, wo etwa in der Europäischen Union als Reaktion auf die Krisen weitreichende Maßnahmen bis in die konstitutionellen Grundlagen hinein getroffen werden, die aber ohne die entsprechenden Ideen nicht zu dem Ziel führen werden, welches aus der anthroposophischen Perspektive als die Befreiung des Menschenwesens erkannt werden kann.
[3] GA 260, S. 139
[4] ebd. S. 146 und 147
[5] ebd. S. 50
[6] siehe dazu auch Wilfried Heidt: “Das Doppelgesicht des Politik-Begriffes bei Rudolf Steiner oder: Was ist “wirkliche Politik”? in: Flensburger Hefte, Nr. 24, Frühjahr 1989 – In dem vorliegenden Aufsatz wird in den Darstellungen einzelner Aspekte auf diesen Text zurückgegriffen. – Das kritische Verhältnis zu den politischen Parteien, das in dem obigen Zitat Rudolf Steiners zum Ausdruck kommt, darf nicht starr gesehen werden. Auch hier gibt es weitergehende Gesichtspunkte bei Rudolf Steiner, bei denen auch eine Parteigründung ins Auge gefasst wurde. Der zitierte Aufsatz geht auch darauf ein, was hier nicht geschehen kann.
[7] Rudolf Steiner, GA 341, Dritte Besprechung, 2. August 1922, S. 41f
[8] Rudolf Steiner bei einem Studienabend des Bundes für Dreigliederung des sozialen Organismus, Stuttgart, 3. März 1920, GA 337a, S. 159f
[9] ebd.
[10] Dieses politische Wirken war – was in der Natur der Sache liegt – natürlich ein allgemeines, nicht auf ein anthroposophisches “Publikum” beschränktes. Es hat eine große Ausstrahlung u.a. auch bis nach Ungarn gehabt, wo Wilfried Heidt (1941-2012) nach dem Jahr 1989 zahlreiche Kontakte gepflegt hatte, sodass seine Arbeit auch Niederschlag in Politik, Medien und Wissenschaft fand. Eine Dokumentation dessen muss an einer anderen Stelle einmal ausgearbeitet werden.
[12] GA 260, S. 219 und zu den Zeitgesetzmäßigkeiten die Vorträge vom 23. - 26. Dezember 1917, GA 180
[13] s. Rudolf Steiner am 23. - 26. Dezember 1917, GA 180
[14] Rudolf Steiner am 9. August 1919, GA 296, S. 16f
[15] Unter dem Titel “Europa - Domus Communis” wird es zu diesen Fragen zu Ostern in Achberg eine Tagung geben, bei der auch die praktisch-politischen Projektperspektiven der nächsten Jahre erörtert werden sollen. Siehe: www.kulturzentrum-achberg.de/ostertagung-2013
Eine Verständnisfrage: Wie stehen für Sie die monetären und medialen Prozesse zu den drei Systemen, dem Wirtschaftsleben, Rechtsleben und Geistesleben?
AntwortenLöschenLieber Sylvain Coiplet,
AntwortenLöschenes tut mir Leid, dass ich Ihren Kommentar erst jetzt freischalte. Ich habe ihn übersehen. Ich werde zu Ihrer Frage zu gegebener Zeit vielleicht etwas Ausführlicheres hier veröffentlichen. Jetzt nur in aller Kürze:
Ihre Frage zielt ja – wenn ich es recht verstehe – darauf, dass die Idee von der "Dreigliederung des sozialen Organismus" klassischerweise die drei Bereiche "Geistesleben", "Rechtsleben" "Wirtschaftsleben" unterscheidet. Jetzt werden hier noch zwei weitere Prozesse genannt. Was hat es damit auf sich?
Die hier genannten "monetären und medialen Prozesse" – die ja in meinem Aufsatz vom Gesichtspunkt der differenzierten Souveränität angeschaut werden – stehen zu den drei Primärsystemen als eigenständige (autonome) Funktionen der Integration und Vernetzung; das Geld hat in seiner Rechtsfunktion ein eigenes, selbständiges System der "zirkularen Integration" gebildet. Was hier mit dem eigentlich aus dem Geistesleben herrührenden Begriff des "Medialen" angesprochen wird, dient ebenfalls der Funktion, den sich gliedernden sozialen Organismus durch "vernetzte Kommunikation" gleichsam zusammenzuhalten. Wobei „medial“ hier weiter verstanden werden muss. Es geht nicht nur um „Medien“, sondern um alle kommunikativen Prozesse der Vermittlung (Mediation) zwischen den verschiedenen Interessen in den unterschiedlichen Gliedern des Ganzen.
Zu Ihrer konkreten Frage des Verhältnisses der "drei Systeme" zu diesen "Prozessen" sieht man, wie diese beiden Bereiche ein Viertes bilden, das den auseinanderstrebenden Tendenzen, etwas Integrierendes und Vernetzendes hinzufügt. Gerade das 20. Jahrhundert hat auf diesen beiden Feldern die größten Entwicklungen durchgemacht – in dem Heft „Auf der Suche nach der Seele Europas“ sprechen Wilfried Heidt und ich vom „eigentlichen systemischen Entwicklungsgewinn des 20. Jahrhundert“ – und auch kommen hier die größten Krisenerscheinungen und Abwege und damit auch die größten Herausforderungen zur Erscheinung:
Es muss, soll dieses Vierte heilsam für das Ganze wirken, ein neue Qualität von Autonomie (Souveränität) gedacht werden. Es geht bei der zirkularen Integration und bei der vernetzte Kommunikation um ein Dienen, das sich orientieren will – wie das Geistesleben aus dem individuellen Wollen am Ideal der Freiheit, das Rechtsleben aus dem Gemeinwillen am Ideal der Gleichheit und das Wirtschaftsleben im assoziativen Urteil am Ideal der Brüderlichkeit – an dem höchsten Ideal – das hier mit der Souveränitätsinstanz in Eins zusammenfällt – der Liebe.
Diese „höhere Souveränität“ findet sich im Bilde schon in Goethes „Märchen“: Als dem Jüngling am Ende von den drei Königen die drei unterschiedlichen Insignien überreicht werden und als viertes dann die schöne Lilie an seine Seite tritt – spricht der Alte „lächelnd“ die folgenden Worte: „Die Liebe herrscht nicht, aber sie bildet, und das ist mehr.“
Nun werden in einer so kurzen Darstellung eines komplexen Sachverhaltes vielleicht noch mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Aber dennoch will ich Ihnen dies jetzt als einen ersten Versuch antworten.
Mit herzlichen Grüßen
Gerhard Schuster
Die zitierte Studie „Auf der Suche nach der Seele Europas“, kann ››› hier gefunden werden:
Und wie die Gestalt diese Frage sozusagen durch die Kunst vor Augen geführt wird, dazu habe ich hier auf „Gangandi Greidi“ ein ››› Interview publiziert.