Zur Aktualität eines Werkes von Joseph Beuys:
Cosmos und Damian – ein apokalyptischer Blick auf den
11. September 2001
3. Teil
Fortsetzung des ››› 2. Teils
Die Heilung der Wunde aus der Quellkraft der Idee:
Die Entdeckung eines neuen baukünstlerischen Repräsentanten (Typus) für das Gestaltprinzip des sozialen Organismus in der gegenwärtigen Epoche
"Für eine Welt nach dem Maß des Menschen"
Der vitruvianische Mensch von
Leonardo da Vinci
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Die klaffende Wunde am Ground Zero |
Die Medianum-Architektur in einem Modell für Manhattan |
Blick auf das Kuppel-Ensemble |
Das Dreieck steht für die soziale Statik, die der Arbeitszusammenhang des dritten Weges im Zusammenwirken der drei „Richtkräfte“ (Beuys) der Französischen Revolution erkennt.
Die von innen beleuchtete Medianum-Kuppel
auf dem Austrian Social Forum (Juni 2006 in Graz)
zeigt die Struktur der Drei-, Fünf- und Sechsecke.
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Das Fünfeck schließlich kann für den Menschen stehen, der sich als ein zunächst viergliedriges Wesen, das die Evolution auf der Erde mit einem physischen Leib, einem Lebensleib, einem Seelenleib und einem geistigen Ich ausgestattet hat, nun auf den Weg machen kann, diese Entwicklung in Freiheit selbsttätig mit seinen entwickelten Fähigkeiten und Kräften eigenen Schöpfertums weiterzuführen, um sich zu einer Fünfgliedrigkeit zu erheben. Dies geschieht, wenn er im aktiven Denken seine alten Wesensglieder, diese verwandelnd, ergreift und als Frucht dieser „spirituellen“ Arbeit in sich ein höheres Selbst als ein neues Wesensglied ausbildet. Aus dieser Quelle kann die Heilung der Wunde erfolgen – aus Liebe zur Natur der Sache und nicht mehr aus dem Trieb, z.B. ein noch höheres Gebäude, als die Twin Towers es waren, oder eine andere, vielleicht technisch und ästhetisch noch spektakuläre Architektur in Manhattan errichten zu wollen. Die Wirkung dieser spirituell-mystischen „Heil-Quelle“ kommt in der Geste und in den Gesetzmäßigkeiten der Formensprache dieser Architektur, wie sie von Achberg aus vorgeschlagen wurde, zum Ausdruck.
Hier konnte man sich auf die durch die Terroranschläge vor Ort entstandene Situation baukünsterisch deshalb einstellen, weil man sich – wie schon erwähnt – in der Arbeit fast ein Jahr lang im Speziellen mit der Frage nach einem architektonischen Typus befasst hatte, der für den sozialen Organismus heute das sein könnte, was die Pyramide im alten Ägypten, der Tempel im alten Judentum und in der Antike und die gotische Kathedrale im christlichen Mittelalter gewesen ist: Die maßgebende geistige Instanz für die sozialen Ordnungen der jeweiligen Epoche.
Also, nun war durch Wunde, die durch die Terroranschläge geschlagen war, eine im Wesen der Sache begründete neue Antwort gefordert. Und diese meinten wir in dem Vorbereiteten erkennen zu können. Man konnte dabei nicht auf etwas Gegebenes zurückgreifen. Weder auf Architekturen des gegenwärtigen Materialismus mit seinem subjektivistischen Individualismus oder Ästhetizismus, der fürs Private reichen mag und hier auch seinen legitimen Platz hat, noch auf Reminiszensen vergangener Bauformen, wie sie in den letzten zweihundert Jahren z.B. als Neo-Klassik, Neo-Gotik usw. den öffentlichen Zweckbaues bestimmt haben und schon gar nicht aufsolche Abwege, wie die totalitären Architekturen unter Hitler und Stalin bis hin zu Ceauşescu. Mit all dem ist es unmöglich das darzustellen, was wir einerseits im Hinblick auf die Bewusstseinsentwicklung des Menschenbrauchen und genauso im Hinblick auf die erreichten Funktionsverhältnisse des sozialen Organismus, wenn wir in den Gesetzmäßigkeiten der Baukunst zugleich das alte hermetische Prinzip „oben wie unten“, das im erstenGrundsatz auf der „Tabula Smaragdina“ festgehalten ist, ergänztdurch den neuen Grundsatz „innen wie außen“, berücksichtigen wollen. – Wenn wir dies aber berücksichtigen, werden wir dann, nach einem Gedanken Steiners, Bauten haben, durch deren Formen „sich Friede und Harmonie in die Herzen ergießen wird“?
Beispiele für historische Reminiszenzen in der Architektur: 1. Das Nationaltheater in Weimar – Foto: Bundesarchiv |
„Gesetzgeber“, sagt Steiner am 17. Juni 1914, „werden solche Bauten sein. Und dasjenige, was nicht erreichen können äußerliche Veranstaltungen, das werden erreichen die Formen dieser unserer Gebäude. (…) Wahre Heilung vom Bösen zum Guten wird in der Zukunft für die Menschenseelen darin liegen, dass die wahre Kunst jenes geistige Fluidum in die menschlichen Seelen und in die menschlichen Herzen senden wird, so dass diese Menschenseelen und -herzen – wenn sie das Fluidum auf sich wirken lassen von dem, was geworden ist in architektonischer Skulptur und anderen Formen – dann, wenn sie lügnerisch veranlagt sind, aufhören zu lügen; dass, wenn sie friedensstörerisch veranlagt sind, aufhören, den Frieden ihrer Mitmenschen zu stören. Baulichkeiten werden zu sprechenbeginnen.“ (in: Wege zu einem neuen Baustil, GA 286, S. 64) Das wollen wir prüfen!
2. Das „Haus des Volkes“ im Bukarest – Foto: Dragospl
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4. Die Börse in der Wallstreet |
5. Beispiele von architektonischen Reminizenzen auf den US-Dollar-Noten Die Pyramide auf dem 1-Dollar-Schein und das am 11. September 1789 eröffnete Finanzministerium auf der 10 Dollar-Note. Die Übersetzung der die Pyramide umgebenden Texte lautet: „Unser Vorhaben wird erfolgreich sein – Die neue Weltordnung“ |
Zum einen die Wandlung des Geldbegriffes, wie sie die Legende von „Cosmas und Damian“ schon impliziert, in einem Vortrag, den der junge Wagner am 14. Juni 1848 im revolutionären Dresden gehalten hat1 und zum andern die „Heilung der Wunde“ in seinem letzten Werk, dem „Parsifal“. Beides hat etwas mit dem fünfgliedrigen Freiheitswesen des Menschen zu tun, mit seiner Ich-Entwicklung vom im Triebhaften versklavten Ego, dem Kult des Egoismus aller Art, was das Leid der Welt erst hervorgebracht hat, hin zum wahren, selbstlos handelnden Ich, das in der Welt seinen Beitrag im Ganzen und für das Ganze leistet: „Die Wunde schließt der Speer nur, der sie schlug“, lässt Wagner Parsifal sagen. Und Steiner formuliert ein „Motto für Sozialethik“ mit den Worten: „Heilsam ist nur, wenn im Spiegel der Menschenseele sich bildet die ganze Gemeinschaft und in der Gemeinschaft lebet der Einzelseele Kraft.“ (GA 40, S. 256) – Also hier sind geistige Quellen für die Idee und die Notwendigkeit der „Heilung der Wunde“!
Damit stehen wir vor der apokalyptischen Alternative: Die Menschheit droht im Strudel des egozentrischen Individualismus unterzugehen, wenn nicht bald eine Weltauffassung sich „globalisiert“, die den Erfordernissen des sozialen Organismus nicht weniger Aufmerksamkeit schenkt als heute der zwar berechtigten, aber seit langem einseitig dominanten Tendenz zur Individualisierung.
Dafür kann auch ein aus dieser Einsicht gewonnener, neuer baukünstlerischer Impuls ein volkspädagogischer Ansporn sein. Joseph Beuys ist zu früh verstorben, um diese Aufgabe als eine Disziplin des „erweiterten Kunstbegriffes“ explizit benennen zu können. Man kann aber Beuys nicht nur erst dann verstehen, „wenn man ihn schon verstanden hat“, wie Ulrich Rösch es in seinem Beitrag formulierte,2 sondern auch erst dann, wenn man seine Begrifflichkeiten offen hält für wesensgemäße Weiterführungen.
Auch wenn, wegen unserer begrenzten materiellen Möglichkeiten, das Projekt „Die Heilung der Wunde“ in New York im Prozess der Urteilsbildung, was auf dem Gelände von Ground Zero an die Stelle treten sollte, von wo aus „Cosmos“ und “Damian“, die Twin Towers, 28 Jahre lang die Skyline Manhattans beherrschten, zunächst keine Rolle spielen konnte: Die Aufgabe besteht noch immer, und sie besteht überall.
Ich möchte meine fragmentarischen Anregungen, aus gewiss ungewöhnlichen Perspektiven heraus gewisse Zusammenhänge mit dem einschneidenden Ereignis vom 11. September 2001 in Beziehung zu setzen, mit einem Gedanken abschließen, den ich bei Rudolf Steiner gefunden habe und der dem Sinn nach in unserer Besinnung zum Ausdruck gebracht wurde. Gegenüber den Priestern der gerade erst von diesen gebildeten „Bewegung für religiöse Erneuerung“, der „Christengemeinschaft“, sagte er in einem Vortrag über Fragen der Apokalypse des Johannes: „Es hat einzig und allein einen Sinn, wenn man an der Apokalypse selbst zum Apokalyptiker wird und aus diesem Apokalyptiker-Werden seine Zeit so verstehen lernt, dass man die Impulse dieser Zeit zu Impulsen des eigenen Wirkens machen kann.“
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Fußnoten:
2.) Siehe auch Ulrich Rösch, "Man kann Joseph Beuys erst verstehen, wenn man ihn schon verstanden hat“ - Erläuterungen zum Geld- und Kapitalbegriff von Joseph Beuys, in: Joseph Beuys u.a.: Was ist Geld? Eine Podiumsdiskussion, FIU-Verlag, Wangen, , 1991. S. 81 ff
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